Frankreich / Chile / Spanien 2015
Dokumentarfilm

Kinostart
10. Dezember 2015

DVD-Release
24. Juni 2016
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Der Perlmuttknopf

Ein Film von Patricio Guzmán

In seinem neuen Dokumentarfilm erzählt Patricio Guzmán (Nostalgia de la Luz) die Geschichte Chiles als eine Kulturgeschichte des Wassers und des Pazifischen Ozeans, der den größten Teil der Ländergrenzen von Chile ausmacht. Der Film erzählt von der indigenen Bevölkerung, die als Volk von Seefahrern eine besonders enge Beziehung zum Wasser hatte, und spannt dabei einen Bogen von ihrer Auslöschung und dem Verlust ihrer kulturellen Schätze zu den Toten der Militärdiktatur, die von Pinochets Regime im Meer versenkt wurden. Die Kontinuität der Gewalt in der Geschichte Chiles kontrastiert mit den atemberaubenden Bildern der Chilenischen Landschaft. So entsteht ein poetischer Sog zwischen Vergangenheit und Gegenwart eines verletzten Landes und seines einmaligen kulturellen, politischen und landschaftlichen Erbes. Der Film wurde auf der Berlinale 2015 mit dem silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Westpatagonien
Der größte Archipel der Welt liegt im Süden Chiles. Die unzähligen Inseln, Inselchen, Felsen und Fjorde sind als „Westpatagonien“ bekannt. Die Gesamtlänge der Küste wird auf 74.000 km geschätzt. Teile dieser Region sind noch unerforscht. Sie umfasst die Südspitze des Kontinents und reicht vom Golf von Penas bis zur Isla de los Estados (dem südlichsten Punkt von Südamerika). Dieses riesige Labyrinth aus Wasser erinnert an den Ursprung des Menschen im Wasser. Dem deutschen Wissenschaftler Theodor Schwenk zufolge ist das Innenohr eine gewundene Molluske, das Herz das Zusammentreffen von zwei Unterwasserströmungen, und einige Knochen in unserem Körper sind spiralenförmig zusammengerollt wie ein Strudel.

 

Wasser im Kosmos
Wasser gehört nicht nur den Erdlingen. Es ist ein verbreitetes Element im Solarsystem. Manche Planeten wie Jupiter und Saturn enthalten es in der Form von Dampf. Auf dem Mars, dem Mond, Europa und Titan wurde es als Eis gefunden. Abgesehen vom Solarsystem enthalten noch andere Körper viel Wasser. 2010 wurden in Chile von der Sternwarte La Silla aus einige Sterne beobachtet, die möglicherweise flüssiges Wasser enthalten und die den Planeten Gliese im Sternbild Waage umkreisen, zwanzig Lichtjahre von der Erde entfernt. Bis jetzt kann niemand widerlegen, dass es dort womöglich ein Archipel wie Patagonien gibt.

 

 

Das Wasservolk
Einen Film über diese Orte zu machen inspirierte mich auch dazu, einen Teil der Geschichte ihrer Einwohner zu filmen. In den Worten von Theodor Schwenk: „Der Denkvorgang ähnelt Wasser aufgrund seiner Fähigkeit, sich allem anzupassen. Verstand und Wasser gehorchen demselben Gesetz: Beide sind in der Lage, sich allem anzupassen.“ Dies mag erklären, wie es einer Gruppe von Menschen gelang, zehntausend Jahre hier zu leben, isoliert und bei Polartemperaturen, bei Winden mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h. Es wird angenommen, dass im 18. Jahrhundert 8000 Menschen dort lebten. Jetzt sind nur noch zwanzig direkte Nachfahren übrig.

 

 

Ein Gespräch zwischen Frederick Wiseman und Patricio Guzmán

 

 

FRED: Was ist die Beziehung zwischen diesem Film und deinem letzten Film „Nostalgia de la luz – Nostalgie des Lichts“?

PATRICIO: Ich glaube, es ist ein Diptychon. Der erste spielt im hohen Norden und der zweite im tiefen Süden. Ich dachte an ein anderes Extrem, und vielleicht werde ich den dritten Film über die Gebirgskette der Anden machen, die Wirbelsäule von Chile und Amerika. Aber bis jetzt habe ich keinen konkreten Plan und weiß noch nicht mal, ob ich dazu fähig wäre.

F: Die Schönheit der Einleitung hat mich beeindruckt.

 

P: Wir filmten in zwei Segelbooten unter dem Kommando von Keri Lee Pashuk und Greg Landreth, die siebzehn Reisen in die Antarktis hinter sich haben. Sie führten uns zu den außergewöhnlichen Gletschern, der eindrucksvollen Gebirgskette von Patagonien. Es ist ein Insel-Labyrinth. Wir segelten viele Kilometer vom Almirantazgo-Fjord zum Beagle-Kanal.

F: Meiner Meinung nach haben alle guten Filme immer zwei Stimmen: Die eine ist die wörtliche Stimme, die andere die abstrakte, metaphorische Stimme. Ich glaube, in diesem Fall entsteht der wahre Film aus dem Übergang von einer zur anderen. Kannst du mir ein Beispiel nennen, wie diese beiden Stimmen in deinem Film verbunden wurden?

 

P: Wenn ich eine zwei oder drei Minuten lange Szene schneide und damit fertig bin, ergänze ich sofort die Erzählerstimme und schreibe den Text auf ein leeres Blatt. Ich schreibe vier oder fünf Sätze auf und nehme sie zum Bild auf. Die Stimme ist also improvisiert, obwohl sie immer indirekt ist. Nur selten ist sie informativ. Danach ist es für mich erledigt, und ich denke nicht mehr darüber nach. Ich gehe zur nächsten Szene über. In mir besteht bereits eine Art Intuition für die Geschichte, die ich erzählen will. Es fällt mir leicht, das zu beschreiben, was ich schon lange im Kopf hatte.

F: Mir gefällt sehr gut, wie du die Karte von Chile rekonstruiert hast und wie sie während der Szene ausgerollt wird.

P: Emma Malig, eine befreundete Malerin, macht schon lange Karten von erfundenen Kontinenten, die sie „wandernde“ Länder nennt, Länder der Schiffbrüche, des Exils. In meinem Film „Salvador Allende“ filmte ich ihre Fantasieländer zum ersten Mal. Diesmal bat ich sie um eine vollständige, maßstabgetreue Karte von Chile, die 15 m lang ist. Sie ähnelt der ockergelben Haut eines prähistorischen Tieres. Es ist ein einzigartiges und großartiges Kunstwerk.

 

F: Warum bist du so besessen von den Geschichten um Pinochets Putsch? Warum glaubst du, dass es so wichtig ist, immer zu diesem Thema zurückzukehren?

P: Ich komme einfach nicht weg von diesem Zeitpunkt. Es ist, als ob ich als Kind dabei zugesehen hätte, wie mein Zuhause abbrennt. Und als ob alle meine Bücher mit Geschichten, meine Spiele, Gegenstände, Comics vor meinen Augen verbrannt wären. Ich fühle mich wie ein Kind, dass dieses Feuer, das erst vor kurzem stattfand, nicht vergessen kann. Zeit empfindet jeder anders, finde ich. Wenn ich meine Freunde in Chile frage, ob sie sich an den Militärputsch erinnern, sagen viele, er erscheine ihnen fern, das sei lange her. Aber für mich ist keine Zeit vergangen. Es ist so, als wäre es vor einem Jahr gewesen, vor einem Monat oder vor einer Woche. Es ist, als säße ich in einer Bernsteinkapsel fest wie diese uralten Insekten, die in einem Tropfen für immer unbeweglich sind. Manche chilenischen Freunde sagen zu mir, dass ich in einer Falle lebe, dass ich krank sei. Ich schaue sie an und sehe, dass die meisten von ihnen älter sind als ich, dicker als ich, krummer als ich. Und ich komme zu dem Schluss, dass ich quicklebendig bin in meiner Kapsel.

F: Glaubst du, dass die Öffentlichkeit und das chilenische Volk diese Fragen vergessen wollen? Ist das Teil deiner Motivierung, ich meine, dass es nie vergessen wird?

P: Die jungen Leute wollen unbedingt mehr erfahren über das, was passiert ist. Die meisten Großeltern, Eltern, Lehrer haben ihnen nichts richtig im Detail erzählt. Deshalb sind sie neugierig auf eine Vergangenheit, die sie nicht gut kennen. Außerdem gehören sie der Generation an, die keine Angst hat. Sie sind offen dafür zu verstehen, was geschehen ist. Es gibt eine starke Studentenbewegung in Chile. Wir haben einige ihrer Anführer interviewt: Gabriel Boric, Giorgio Jackson. Salvador Allendes Projekt ist für sie ein Modell. Andererseits ist ein „modernes“ Chile ein Paradox. Das „moderne“ Chile ist viel älter als das Chile, das ich kannte. Das „moderne“ Chile ist ein Land, in dem Homosexuelle keine Rechte haben, in dem Abtreibung illegal ist und das unter Pinochets Konstitution lebt.

F: Wie erklärst du das?

P: Der rechte Flügel hat vierzig Jahre lang eine Konstitution mit vielen Fallen aufrechtgehalten. Die Stimmen der demokratischen Opposition konnten nie die der Rechten übertreffen, die das Konzept des „inneren Feindes“ unterhielt. Das könnte sich jetzt ändern, da das Parlament gerade einer Reform des binominalen Wahlsystems zugestimmt hat, das jetzt proportional sein wird (am 20. Januar 2015). Allmählich trennt sich Chile von dem Erbe der Diktatur Pinochets. Ich hoffe, das Land wird wieder interessanter, abwechslungsreicher und demokratischer werden. Genau das war Salvador Allende: ein demokratischer und freiheitsliebender Mensch. Das ist das große Erbe, das er diesem Land hinterlassen hat, das so lang ist wie ein Spaghetti.

F: Warum blieb Pinochets Konstitution so lange unverändert erhalten?

P: Pinochet wurde durch eine Volksbewegung entmachtet. Die Unruhe in den Arbeitervierteln, Universitäten, Gymnasien, im Zentrum von Santiago usw. war so groß, dass die CIA Pinochet den Befehl gab, ein Referendum zu organisieren, um diese mögliche Rebellion zu neutralisieren. Pinochet hat es organisiert und verloren. Am nächsten Tag kamen die Berufspolitiker an die Macht und schlossen einen Schweigepakt mit den Militärs.

F: Kam es dazu, weil die Armee beteiligt war?

P: Die Armee war immer an allen chilenischen Angelegenheiten beteiligt, auch heute noch. Sie dominiert das Land. Die Idee des Schweigepakts ist vermutlich die Folge von Felipe González‘ Einfluss während der Übergangsperiode. Zu dem Pakt kam es nach Francos Tod in Spanien. Er beinhaltete, dass über alles geredet wurde, nur nicht über das historische Gedächtnis und die Gemeinschaftsgräber. Die Volksmassen, die in Chile die Diktatur bekämpft hatten, wurden von der Macht ferngehalten. Das linke Zentrum übernahm die Macht. Aber diese „Linke“ wurde bis zum heutigen Tag zunehmend verwässert. Ungefähr 40 % der Verbrechen der Diktatur kamen vor Gericht, die übrigen Verbrechen jedoch nicht. Die Zivilisten, die an der Diktatur beteiligt waren, wurden zum Beispiel kaum belangt. Im Grunde ist Chile eine große einsame Insel, auf der die Leute viel arbeiten, hart arbeiten und sehr früh aufstehen. Manche Angestellten haben nur einen Anzug, den ihre Frau jeden Abend bügelt, und sie kämpfen darum, einer Mittelklasse anzugehören, die kein Glück kennt. Ich glaube, der Putsch wird ein Jahrhundert lang zu spüren sein. Es ist eine Insel ohne Streikrecht, ohne Redefreiheit und wo sich die Kirche in die Staatsangelegenheiten einmischt. Als ich jung war, war die chilenische Kirche eine der tolerantesten auf dem Kontinent. Deshalb glaube ich, dass die wahre republikanische Modernität hinter uns liegt, nicht vor uns.

F: Spielt das Wasser in deinem neuen Film dieselbe Rolle wie die Wüste in deinem letzten Film?

P: Ich glaube, das ist wahr. Was im letzten Film fest war, ist in diesem flüssig.

F: An beiden Orten werden Tote gefunden. Geht es um zwei Friedhöfe? Spielt das eine wörtliche oder eine metaphysische Rolle in beiden Filmen? Ich glaube, es ist eine Metapher.

P: Beides. Ich benutze gern Metaphern, um den Dokumentarfilm von den Informationsmedien zu entfernen und weil sie ein sehr ergiebiges erzählerisches Werkzeug sind, das die Leute zum Nachdenken anregt. Aber es spielt auch eine „wörtliche Rolle“, weil es diese natürlichen Friedhöfe wirklich gegeben hat. Die Wüste war die erste Wahl, als es darum ging, Körper verschwinden zu lassen, danach kamen Vulkankrater und schließlich der Ozean. Sie banden die Körper an Schienenstücke, damit sie spurlos untertauchten.

F: Ist der Mann, den du interviewst, ein Pilot?

P: Er war ein Mechaniker für die PUMA-Hubschrauber. Der Richter Juan Guzmán gab mir den Hinweis. Er kam zu folgendem Schluss: In der Wüste wurden hundert Leichen gefunden. Wo sind die übrigen? Es gibt zwei Möglichkeiten: auf dem Meeresgrund oder in den Vulkankratern. Sie suchten im Meer, und der Richter gab Inspektor Vignolo den Auftrag, die Schienen vor der Küste von Quintero zu finden. An einer der Schienen wurde ein eingebetteter Hemdsknopf gefunden. Diese Schiene liegt im Museum der Villa Grimaldi in Santiago. Richter Guzmán glaubt, dass weiter draußen im Meer weitere Schienen liegen könnten. Wenn sie ein riesiges U-Boot hätten, könnten sie eine umfassende Suche in den großen Meerestiefen durchführen und würden sicher noch viele Tote finden.

F: Wer ist der Dichter Raúl Zurita?

P: Ich finde, er ist einer der bedeutendsten modernen Dichter Chiles. Er ist ein außergewöhnlich begabter Künstler. Es gefällt mir sehr, wenn er sagt, dass die Militärs Feiglinge sind. Er nannte das Beispiel von Achilles und Troja und Hektors Leiche, die den Trojanern zurückgebracht wird, als Zeichen der Ehrerbietung gegenüber den feindlichen Kriegern. Aber das habe ich nicht im Film benutzt, da er viele andere wichtige Dinge in der Szene sagt.

F: In deinem Film gibt es einige Elemente, die zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm liegen, weil du manche Leute gebeten hast, bestimmte Dinge zu tun. Er enthält auch echte Regie, wie in einem Spielfilm. Warum hast du das getan?

P: Ich habe die Schienen auf den Körpern rekonstruiert, weil ich das Buch des Journalisten Javier Rebolledo gelesen hatte, der dieses Thema sehr genau untersucht hat. Ich sprach mit Rebolledo, der mir die verheimlichten Fakten erklärt hat. Es war ein furchtbar gruseliges Erlebnis für mich, zu sehen, wie die Puppe eingepackt wurde, damit man sie ins Meer werfen konnte, denn sie kam mir wie ein echter Körper vor. Schockierend ist auch der Gedanke, dass es eine Menge Organisation erforderte, 1400 Menschen verschwinden zu lassen. Wenn bei jedem Flug neun Leichen transportiert wurden, müssen es hunderte von Flügen gewesen sein. Es wurden auch Leichen aus Booten geworfen. Eine kleine Gruppe von Soldaten kam eines Nachts zu einem Hafen und zwang den Eigentümer eines Fischerboots, „Pakete“ an Bord zu nehmen. Das waren Leichen, die ins Meer geworfen wurden. Dasselbe geschah auf Seen und Flüssen.

F: Was passiert, wenn du deine Filme in Chile zeigst?

P: Ich habe ein Stammpublikum, das meine Filme kennt. Das sind ungefähr 5000 Personen. Aber kein Fernsehsender strahlt meine Filme aus. Nur einmal kam es dazu. Sie zeigten „Nostalgia de la luz – Nostalgie des Lichts“ um ein Uhr morgens und mit vertauschten Filmspulen. Sie entschuldigten sich und mussten den Film noch mal zeigen, aber fast zur selben Zeit.

Crew

Drehbuch/Regie
Patricio Guzmán

Produzentin
Renate Sachse (Atacama Productions)

Schnitt
Emmanuelle Joly

Regieassistent
Nicolás Lasnibat

Ton
Álvaro Silva Wuth

Originalmusik
Miranda & Tobar, Hughes Maréchal

Kamera
Katell Djian

Zusätzliche Kamera
Patricio Guzmán, David Bravo, Yves de
Peretti, Patricio Gianfranco, Raúl Beas

Standfotos
Martín Gusinde, Paz Errázuriz

Tonschnitt und Mischung
Jean-Jacques Quinet

Künstlerische Beraterin
Renate Sachse

Ausführender Produzent
Adrien Oumhani

Exekutiv Produzentin in Chile
Verónica Rosselot

Koproduzenten
Bruno Bettati, Fernando Lataste, Jaume
Roures Llop

Koproduktion
Valdivia Film, Mediapro, France 3 Cinéma

Kinostart10. Dezember 2015
FSK12
Runtime82 Min.
TechSpecsBildformat:1:1.85; Tonformat:Dolby Digital 5.1

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DVD-Release24. Juni 2016
FSK12
VerpackungSoftbox
SpracheSpanisch
UntertitelDeutsch
Laufzeit Hauptfilm83 Min.
LabelGood Movies
DistributorIndigo
BestellNrDV128888
EAN4015698006124

Video on Demand

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